
Im letzten Monat hatten wir uns im Rahmen eines offenen Netzwerktreffens dem Thema Loslassen oder Fallenlassen gewidmet. Bereits im Vorfeld wurde teils intensiv über die Worte diskutiert. Ein wichtiges Resümee dieser Diskussionen sind die Definitionen, was hinter den Worten eigentlich steckt.
Insbesondere das Loslassen wird oft mit Fallenlassen oder auch Rückzug verwechselt. Aufgabe, Verlust, Niederlage usw. Sind Beschreibungen, die nichts mit Loslassen im Kontext eines Lebens mit
Kind zu tun haben.
In einem Beratungsgespräch habe ich ein Bild mit einem Stift gezeigt, um den Unterschied zu verdeutlichen. Wer den Stift fallen lässt, gibt ihn buchstäblich komplett aus der Hand, wer den Stift
loslässt, seine Hand also dreht und öffnet, hat den Stift nach wie vor auf der geöffneten (losgelassenen) Hand liegen. Jederzeit ist das Weiterschreiben einer Lebensgeschichte möglich.
Hier nun meine Definition der beiden Begriffe, begonnen mit dem Fallenlassen. Gleich vorweg, aus meiner Sicht ist dies keine Option für uns Eltern, da sie der Verantwortung, ein Kind in die Welt
gesetzt zu haben, nicht entspricht. Auch wenn man natürlich wie immer den Einzelfall betrachten muss, in meiner Zeit als Berater in diesem Bereich habe ich noch keinen Fall erlebt, bei dem ich
dazu hätte raten können.
Wer sein Kind fallen lässt, zieht sich aktiv komplett aus dem Leben des Kindes zurück. Hier gibt es keinerlei Kontakt mehr und man wird wirklich nur noch zum Unterhaltszahler. Es ist eine
bewusste Entscheidung, des "Umgangs berechtigten" aus dem Leben des Kindes herauszugehen.
Im Gegensatz dazu ist beim Loslassen, bei dem die Autonomie des Kindes berücksichtigt wird. Das Loslassen ist etwas Positives, Verantwortungsvolles und keineswegs etwas Abwendendes oder
Aufgebendes. Es werden keine Anträge mehr gestellt und ja, aus Teilbereichen des Lebens des Kindes zieht man auch zurück. Man hat die Kinder aber stets im Auge. Umgänge finden weiterhin statt
bzw. werden zumindest weiterhin angeboten. Emotional trennt man sich in gewisser Hinsicht vom Kind und akzeptiert in einigen Themengebieten nicht mehr eingebunden zu sein und vor allem keinen
Einfluss mehr zu haben. Man legt hierbei auch teilweise die Verantwortung ab. Im Leben des Kindes bleibt man jedoch als Person vorhanden, wenn auch teilweise unsichtbar.
Aus meiner Sicht ist das Thema des Loslassens ein Thema der ersten Sekunde einer Trennung und Scheidung. Je nach Konstellation müssen ohnehin Dinge loslassen. Den täglichen Kontakt, das
Eingebundensein in den Alltag. Selbst beim gelebten Wechselmodell muss man 50 % der Lebenszeit der Kinder loslassen.
Für mich ist hier auch ein riesiges Problempotenzial verwurzelt. Es gibt Konstellationen, bei denen das "Loslassen" ein wichtiger Schritt ist, um in Kontakt zu bleiben. Würde man dies nicht
machen und davon kenne ich einige Fälle, läuft es auf einen systemischen Totalverlust hinaus.
Hierzu ein Beispiel, U-Untersuchungen. Ein Thema, das oft in intakten Familien kein Thema ist, weil sie in den meisten Fällen kaum Alltagsrelevanz haben. Im Trennungskontext rate ich bei gesunden
Kindern zum Loslassen. Dem Kind wird es nicht wichtig sein, wer zu den U-Untersuchungen gegangen ist, die Ergebnisse sind (wenn wir gesunde Kinder haben) ohnehin mehr als oberflächlich und nicht
aussagend. Dennoch wird sich hier und das meine ich nur beispielhaft oft nicht losgelassen und ein Konflikt aufgemacht, der einem am Ende weiter weg vom Kind führt.
Das Thema des Loslassens und des Fallenlassens wird uns weiter immer wieder beschäftigen, gerne könnt ihr mir eure Gedanken zu dem Thema zusenden. Wir werden dieses Thema, was letztlich das Thema
Umgang bei Trennung mit Kind ist, immer wieder auf die Tagesordnung bringen.
Wie ich bereits schrieb, ist natürlich immer der Einzelfall und die besonderen Umstände in diesem zu beachten. Aktiv darüber nachzudenken, wo man sein Kind in gewisser Hinsicht loslassen
kann und dabei den Stift in der Hand zu behalten und nicht immer die Gedanken von Aufgabe oder im Stich lassen zu haben, ist sicherlich ein wertvoller Gedanke. Lasst diesen gerne mal reifen und
lasst euch gerne mal auf diesen ein.
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